login
Suchkriterien löschen

Zu Unrecht verdächtigt

von Fredy Brauchli, CPhH Kommission zum Schutz der Philatelie 

Wieder einmal weckte eine spektakuläre Rayon-Halbierung die Aufmerksamkeit des «Fälschungsjägers». Anhand der Abbildung im Verkaufskatalog und im Internet war es schwierig, sich eine abschliessende Meinung zu bilden. Der Verkäufer konnte die geäusserten Bedenken nachvollziehen und war bereit, ein aktuelles Attest für den seltenen Brief in Auftrag zu geben. Dieser Aufwand hat sich gelohnt!

Im gediegenen «Alt-Schweiz Katalog 2020» der Honegger
Philatelie AG wird unter der Los-Nr. 292 eine Seltenheit mit
einer Rayon-II-Halbierung angeboten. Für den sauberen Beleg
existieren zwei Atteste aus dem Jahr 2005, welche die Echtheit
des Briefes bestätigen. Die Taxe von 15 Rp. für einen Brief
der 1. Gewichtsstufe in den 3. Briefkreis entspricht dem ab
1. Januar 1852 gültigen Porto. Trotzdem störte bei genauerer
Betrachtung eine Kleinigkeit, die eine Manipulation an der
Frankatur nicht ausschliessen konnte. Auch ein angefragter
spezialisierter Prüfer konnte eine Frankatur-Verfälschung
nicht ausschliessen. Deshalb wurde der Kontakt zum Verkäufer
gesucht und darum gebeten, ein aktuelles Attest für den
fraglichen Beleg (Abb. 1) in Auftrag geben zu lassen.

Abb. 1. Ein seltenes Exemplar!


Was hatte eigentlich den Argwohn des Verfassers geweckt?
Die Halbierung ist doch von der halbierten Marke auf den
Brief übergehend gestempelt. Bei kritischer Betrachtung konnte
man zum Schluss kommen, dass beim Übergang der eidgenössischen
Raute auf den Brief irgendetwas nicht stimmte.
Denn wenn man den Verlauf der Mittellinie betrachtet, so verläuft
diese scheinbar um eine Linie verschoben auf den Brief.
Ein zur Illustration angefertigtes Modell verdeutlicht diesen
Gedanken (Abb. 2). Wäre auf den beiden vorliegenden Attesten
ein Hinweis darauf gemacht worden, dass die Marken zur
Prüfung abgelöst und etwas versetzt zurückgeklebt worden
Zu Unrecht verdächtigt sind, hätte dies die Sache logisch erklärt. Jedoch sagen beide
Atteste nichts dergleichen aus. Es stellte sich also die Frage, ob
beide Prüfer die beschriebene scheinbare Unstimmigkeit nicht
bemerkt hatten.

Abb. 2. Irgendetwas stimmt nicht mit dem Verlauf der Mittellinie.


Dank der spontanen Kooperationsbereitschaft des Verkäufers
wurde der Brief unverzüglich dem Durheim-Experten Urs
Hermann zu einer neuen Prüfung vorgelegt. Dieser fertigte in
der für ihn typischen minutiösen Art ein Attest aus, das dem
Brief sozusagen ein «summa cum laude» bescheinigte. Und
jetzt lag auch die Begründung für den etwas versetzten Abschlag
der 15-linigen Raute vor: «Abschlag mit Verdoppelungsspuren,
deshalb auf Beleg leicht versetzt.» Bei der Entwertung
wurde der Rauten-Stempel unregelmässig einmal stärker und
einmal schwächer abgeschlagen und hat so zur zweifelhaften
Versetzung geführt (Abb. 3).

Abb. 3. Des Rätsels Lösung: Die Verdoppelung des Stempels erklärt
die versetzten Mittellinien.


Der Prüfungsexperte wollte aber auf ganz sicher gehen und
löste die Marken ab. Dadurch konnte er feststellen, dass unter
den beiden Wertzeichen keine weiteren Stempelteile vorhanden
waren, was bei einer Frankatur-Verfälschung sehr wahrscheinlich
gewesen wäre. Der schöne Brief erhielt nun quasi
den «Ritterschlag». Ein rundum erfreuliches, wenngleich für 
den Verfasser etwas überraschendes Ende einer Recherche im
Zeichen der Fälschungsbekämpfung. Für den künftigen Besitzer,
aber auch für den Verkäufer eine ungetrübte Freude, gestützt
durch ein vorbildlich detailreiches Attest (Abb. 4). ■

Abb. 4. Das Attest von Urs Hermann macht alles klar.