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Der Kanton Tessin


Roland Arnet

- eine verrückte (Post-)Geschichte

Ich erlaube mir, Sie in die tiefe Vergangenheit vom Kanton Tessin zu entführen. Mit Fussboten begann im 13. Jahrhundert die Postverbindung von Basel nach Mailand. Sie wurde stetig ausgebaut und erreichte 1849 mit einer täglichen Postkutschenverbindung von Flüelen nach Mailand, genauer nach Camerlata, einen ersten Höhepunkt.

Die erste Besiedlung vom Tessin war vor über 3’000 Jahren durch die Volksstämme der Lepontiner
(Ceneri, Magadino-Ebene), die Caninier (um Bellinzona) und die Orobier (Luganersee/Chiasso).1 Diese Unterteilung blieb bis zur römischen Zeit. Nur Saumwege dienten dem Reisenden. Den Luganersee zwischen Melide und Bissone mit Schiffen zu überqueren war kompliziert und teuer. So verpflichtete 1335 der Herrscher, der Bischof von Como, die Anliegergemeinden zum Unterhalt der Saumwege. Erst 200 Jahre später bauten die Bewohner bessere Wege - die «Strade». Eine dieser Strassen führte beispielsweise von Quartino, eine andere von Cadenazzo zum Ceneripass hinauf. Als im 8. Jahrhundert die Langobarden in die heutige Lombardei eindrangen, errichteten sie bis zum Monte Ceneri 13 Burgen. Diese wurden von 1516 bis 1518 durch die Eidgenossen zerstört. Von 1512 bis 1798 war das Tessin Untertanengebiet der alten Eidgenossenschaft. Dieses Gebiet wurde abwechselnd durch Landvögte von zwölf Kantonen verwaltet. Die Leventina hingegen gehörte seit 1403 zum Kanton Uri, 1419 erwarb er diese vom Grafen Albrecht von Sax mit der Bezahlung von 2’400 Gulden. Das Bleniotal blieb bei Albrecht von Sax. Bellinzona konnten die Urner 1419 von den Herren von Sacco käuflich erwerben. Reisen war in dieser Zeit ein Privileg von wenigen. Rom-Pilger, Soldaten wie auch die Adligen und Kirchenfürsten mit ihrem Gefolge zogen mehrheitlich zu Fuss über die Alpenpässe.


Historische Postroute Basel - Zürich - San Gottardo - Milano

Gotthardpost der Basler und Zürcher 
Dank den kühnen Brückenbauten der Urner in der Schöllenenschlucht wurde der Saumweg zum Gotthardpass besser erschlossen. Dies erkannten Basler Kaufleute und nutzten die kürzeste Verbindung zum wichtigen Handelsplatz Mailand. Die Etappenorte und Nachtlager der Basler Boten waren die folgenden: Como, Lugano, Bellinzona, St. Gotthard, Luzern, Olten und Basel.2 Bis 1636 unter­stand das Fuhr- und Postwesen der Stadt Basel unter Aufsicht der «Zunft zu den Gartnern». Auch Zürich wurde aktiv. 1610 errichteten die Gebrüder Hess das erste Zürcher Postbüro im Haus «zum Roten Gatter». Ab 1615 wurde ein wöchentlicher Fussbotenkurs über den Gotthard nach Bergamo angeboten. Für Sendungen nach Mailand wurde in Como ein zusätzlicher Botendienst errichtet. Ab 1630 wurde dieser Kurs zweimal wöchentlich angeboten, da der Briefverkehr stark zugenommen hatte - nun mit Boten auf Pferden.


Schöllenenschlucht im Kanton Uri

Zankapfel Gotthardpost 
Die damals stark geforderte Eidgenossenschaft (Fehde zwischen den katholischen inneren Orten und den protestantischen Städten) wurde 1640 geprüft. Der Oberpostmeister Marchese Serra von Mailand ernannte den St. Galler Kaspar Johann Scherrer zu seinem Postmeister in Luzern, um den Postverkehr Lombardei – Frankreich über den Gotthardpass zu regeln und zu fördern. Scherrer genoss dabei die Unterstützung der inneren Orte, denn diesen waren die Botenkurse der reformierten Zürcher und Basler über «ihren» Gotthard ein Dorn im Auge. 1641 wurden die übrigen Stände aufgefordert, diese neue Botenlinie zu fördern. Da der Erfolg ausblieb, erliess Mailand 1643 eine Post- und Handelssperre gegen Basel und Zürich. Diese ergriffen Repressionen gegen Mailand – was negative Folgen für die Gütertransporte über den Gotthard hatte. Der Güterverkehr verlagerte sich dadurch schnell auf die Bündner Pässe. Geprellt waren dabei die Innerschweizer, ins- besondere die Urner, da ihr wirtschaftliches Wohl­­- ergehen vom Gotthardverkehr abhing. Mailand und die inneren Orte lenkten schliesslich ein. Uri baute die Saumwege auf beiden Seiten des Gotthardpasses aus und verbreiterte sie teilweise. Damit konnte der gute Ruf der Gotthardroute gegenüber den ebenfalls mit viel Aufwand ausgebesserten Passwege der Bündner wieder hergestellt werden. Nutzniesser der Situation waren die Zürcher, die sich mit viel Verhandlungsgeschick mit Mailand und den inneren Orten ein Monopol auf den Gotthardverkehr eroberten. Zuerst wurde die Gotthardpost von Scherrer ausgeschaltet, und 1652 schafften die Zürcher gar ein Verbot der Basler Linie nach Mailand.


Die Gebirgspost um 1900 – Gotthard-Post genannt, versunken im Neuschnee, in einer sehr realistisch nachempfundenen Lithografie.

Wohin geht wohl diese Fahrt? Natürlich - wie immer - mit mehreren gutbetuchten Reisenden und fünfspännig gemütlich über die Alpen.

Fünfspännig ist die Gotthard-Post unterwegs, traditionell mit einem Wachstuch und Melone tragenden Kutscher sowie einem Kondukteur, diesmal mit fünf Schimmeln.

Transporte mit weiteren damit verbundenen Dienstleistungen waren (nebst der arbeitsintensiven Landwirtschaft) die wichtigste Einnahmequelle der Tessiner Bevölkerung.

Im Landesmuseum in Zürich steht noch heute diese jederzeit frei zu besichtigende uralte eidgenössische Postkutsche.

Innertessiner Postwesen 
Die eidgenössischen Schirmorte schenkten dem Botenwesen der Tessiner Vogte immer grosse Aufmerksamkeit. Bereits 1604 wird das Postbüro von Locarno erwähnt und 1631 wurde der Postdienst in Bellinzona verbessert. Nach dem Ende des Dreissigjährigen Krieges 1648 erholte sich die Wirtschaft in den deutschen Städten schnell, und der Güter- und Postverkehr über die Alpen entwickelte sich erfreulich. Diego Maderini aus Lugano stieg als Unternehmer ins Postgeschäft ein und gründete 1653 eine neue Reiter-Postlinie Luzern – Mailand.Seine Kuriere beförderten diese Strecke in nur noch vier Tagen. Seine Pläne, die Gotthardpost bis Basel zu verlängern, wurde 1663 umgesetzt. Nach und nach verlor Maderini Teilstrecken, unter anderem die nach Venedig und Mailand. 1682 wurde ihm an der Tagsatzung zugunsten der Zürcher Kaufmannspost verboten, als Postunternehmer tätig zu sein. 
Fischerpost auch im Tessin 
Der 1675 mit dem Berner Ratsherrn Beat von Fischer gemachte Postpachtvertrag veränderte die Berner Landespost. Schritt für Schritt baute Fischer sein Imperium auf. 1686 konkretisierte Fischer seine Idee für eine internationale Gotthardpost, die er zusammen mit der Zürcher Kaufmannspost verwirklichen wollte. 1688 begannen in Mailand und Bergamo und mit den inneren Orten Verhandlungen um ein Alleinrecht für eine Transitpost über den Gotthard. 1691 schaffte er als Berner Postunternehmer mit dem deutschen Postfürsten Thurn und Taxis eine zweimal wöchentliche Reiterbotenverbindung Bern-Frankfurt unter Umgehung der Zürcher Kaufmannspost. 1692 übernahm Fischer die Postkurslinie über den Grossen St. Bernhard mit der Linie St-Maurice – Turin, und die inneren Orte ratifizierten endlich den Konzessionsvertrag. Nach mehr als zehn Jahren Bemühungen konnte, auch dank politischen Spannungen mit Frankreich, am 10. September 1696 die neue Gotthardpost ihren Betrieb aufnehmen - den ersten Monat noch mit Fussboten, danach als Reiterpost. Der Vertrag konnte ohne grosse Änderungen immer wieder erneuert werden. Mit der Gründung der Helvetischen Republik 1798 endete auch die Fischerpost.


Das 1798 publizierte «Postgesetz der Helvetischen Republik» - Aarau war damals für sechs Monate sogar Hauptstadt der Schweiz.
Erste Postwagenkurse in der Schweiz 
Die Fischerpost beschloss 1735 auf der Strecke Bern-Aarau, anstelle von Maultier- und Packpferdekolonnen, bespannte Postwagen einzusetzen. Bis 1796 kamen 22 weitere Verbindungen hinzu. Im Volksmund hiess es: Mit der Chaise oder Diligence reisen «Herren, Briefe und Gelder». Anfänglich boten die Wagen für fünf Reisende Platz, später boten sie bis zu zwölf Plätze. Je besser die Strassen wurden, desto mehr kapitalkräftige Reisende nutzten die neue Freiheit der Postkutsche.
Von der Kantonal- zur eidgenössischen Post 
1798-1802 waren im Tessin mit der Helvetischen Republik unruhige Zeiten, bis Napoleon Bonaparte 1803 die «Mediationsakte» diktierte. Bei der Wahl, ob sie künftig zur «Italienischen Republik» oder zur «Helvetischen Republik» gehören wollten, entschieden sich die Tessiner für «liberi e svizzeri». 1803 wurde der Kanton Tessin gegründet und war nun ein Teil vom 1803–1814 existierenden, französischen «Vasallenstaat Schweiz». 1806 plante der Kanton Tessin eine neue Strasse, die 1811 als einfache «Carrozzabile» eröffnet wurde. Die moderne «Strada Cantonale» von Chiasso bis Airolo wurde 1823 gebaut, und längs der Strasse wurden militärische Bauten zur Verteidigung der wichtigen Verbindung erstellt. Der Ruf nach einer Vereinheitlichung der Post, der Abschaffung der Binnenzölle und Brückengelder sowie eine einheitliche Währung blieben. Das Chaos während der Zeit des Staatenbundes (1815-1847) verärgerte auch das Ausland. Im November 1847 entlud sich im Sonderbundkrieg der letzte Bürgerkrieg in der Schweiz. Danach waren die Tore für Veränderungen offen und der föderative Bundesstaat konnte 1848 gegründet werden. Die ertragreichsten Jahre der Pferdepost waren von 1830 bis 1860. Nach der Übernahme der Kantonalpost besass die eidgenössische Post einen Fuhrpark von 498 Wagen und 247 Schlitten.
Mit dem Aufkommen der Eisenbahn 1854 gingen die Verbindungen zunehmend verloren. 1850 war schweizweit ein Pferdepostnetz von rund 4’600 km vorhanden. Am Ertrag der eidgenössischen Post war der Anteil der Pferdepost 46,7%. Bis zum Höhe­punkt 1913 wuchs der Bestand der «strohgelben Ge­fährde» auf 3’290 Fuhrwerke und 1’059 Schlitten.

Versilbertes Brustschild um 1840 von einem Kondukteur der Tessiner Kantonalpost 
Das Original dieses Billetts hatte sieben Coupons und es wurde am 20. März 1840 in Darmstadt DE ausgestellt.


Die um 1840 möglichen Verbindungen ab Luzern – dreimal wöchentlich gab es einen Kurs durch Uri Richtung Italien.

Die Gotthardpost weicht der Bahn 
Die Gotthardpost fuhr bei schneefreiem Pass dreimal wöchentlich über die 1831 fertig gestellte Gotthard-Passstrasse. Bis zur Eröffnung der «Ponte-Diga» (Brückendamm) zwischen Melide und Bissone 1847 wurden Reisende, Pferde, Kutschen und Karren mit einer Ponton-Fähre übergesetzt - mit Muskelkraft von Ruderknechten. Auch die moderne Postkutsche reiste mit ihren fünf Pferden über den See – dies auf einer für diesen Zweck vergrösserten Holzfähre. Ab 1849 verkehrte diese täglich in 23 Stunden zwischen Flüelen und Camerlata, ab 1849 mit Bahnanschluss nach Mailand. Das Reisen war sehr teuer. Für die Strecke Basel-Lugano (inkl. Dampfschiff Luzern-Flüelen) musste 1850 29 Franken (im Wageninneren) resp. 34 Franken (im Coupé) bezahlt werden. Der durchschnittliche Monatslohn eines Pferdeposthalters betrug damals rund 25 Franken. Während den Monaten mit Schnee erfolgte ein geringer und risikoreicher Verkehr in bis zu 50 Schlitten umfassenden Schlittenkolonnen. Die Postschlitten waren im Winter Teil dieser Kolonne und stellten die Anschlüsse in Göschenen oder Airolo je nach Schneehöhe mehr oder weniger pünktlich her. In dem im Jahr 1860 veröffentlichten Bericht «Memorial in Sachen des Gotthardpasses» wurde der Winter 1859|1860 als ungünstiger taxiert, weil die Schneemassen überdurchschnittlich hoch waren. Nur an 27 Tagen war der Pass mit der Schlittenkolonne unpassierbar. In diesen Schlittenkolonnen wurde wertvolle Fracht auf die Gotthard-Passhöhe transportiert. Auf dem Pass wurde alles, oft unter misslichsten Verhältnissen, umgeladen und weiter transportiert. Von Luzern nach Flüelen mussten bis zur Eröffnung der Axenstrasse 1861 Schiffe eingesetzt werden. Mit der Eröffnung des Gotthardtunnels 1882 war die wichtige Postkutschen-Verbindung über den Gotthard nach Biasca Geschichte.


Gotthardpost im Fahrplan von 1859 mit den Bahnanschlüssen nach Mailand und weiteren italienischen Städten

Die Gotthardpost auf der «Trajektierung» von Melide nach Bissone auf einer verlängerten «Comball»

Seltene Aufnahme einer dreispännigen Schlitten-Personenpost; diese Schlitten kamen auch am Gotthard regelmässig zum Einsatz.

Zweispännige Winterpost mit Postschlitten wurden fahrplanmässig in vielen Regionen der Schweiz geführt.

Aufnahme vom Mai 1882: oben ist die 1861 eröffnete Axenstrasse erkennbar, unten die noch nicht dem Verkehr übergebene Gotthardbahn bei Brunnen.