Die Briefmarken Liechtensteins
Holger Zahnow
Kein x-beliebiges Sammelgebiet - Teil 3. Liechtenstein, pas n’importe quel domaine de collection - 3e partie.
«Häsch Bödä? - Muasch tala?» Bedeutung: «Hast du Grundstücke? - Musst du dein Erbe teilen?»1 « Est-ce que tu as des terrains ? - Dois-tu partager ton héritage » ?
Mit diesen Fragen sollen früher angeblich manche Männer mit Heiratsabsichten in Liechtenstein den Marktwert der Braut in spe taxiert haben. Quelle: Grüneis, Anita: Hoi Liechtenstein, Gastbeitrag auf www.saiten.ch/hoi-liechtenstein, 21. Juni 2022, Herausgeber: Verein Saiten, CH-St. Gallen, abgerufen am 1.12.2023. 2 Das Motto rekurriert auf eine Rede des Franzosen Michel Jules Alfred Bréal (1832-1915) anlässlich des ersten Olympischen Kongresses 1894 in Paris und seine Anregung, Olympische Spiele diesem Leitgedanken unterzuordnen.
Fortsetzung von SBZ 12|2024 und 4|2025
Ein spezielles Kapitel eines jeden Sammelgebietes stellt die Marketingstrategie der betreffenden Postverwaltung bzw. des Postunternehmens dar. Durch Einfallsreichtum, Imitationen und teils exzentrische Stilmittel wird versucht, die Aufmerksamkeit zu erhaschen und der in schnellem Tempo geringer werdenden Zahl von Sammlerinnen und Sammlern entgegenzuwirken. Auch die Liechtensteinische Post bedient sich ausgefeilter Methoden, um eigene, möglichst exklusive «Duftmarken» zu setzen. Im Sport gilt die Devise «Immer schneller, immer höher, immer weiter!»2. In der aktuellen Philatelie könnte die abgewandelte Devise lauten «Immer ausgefallener, immer technischer, immer spektakulärer». Ob das der adäquate Weg ist, muss jede Sammlerin und jeder Sammler für sich selbst entscheiden.
Abb. 1
Abb. 2
Abb. 3
Nun sollen die Inspirationen der Liechtensteinischen Post vorgestellt werden. Zu Beginn sei an die Serien «Minnesänger» nach Originalen der Manessischen Liederhandschrift der Jahre 1961 bis 1963 und 1970 erinnert. Damals erregten diese grafisch und drucktechnisch fantastisch gestalteten Briefmarken nicht nur wegen ihres Golddruckes höchste Aufmerksamkeit (Abb. 1). Entsprechend dem zeitgemässen Know-how kommen heutzutage zahlreiche andere Techniken zum Einsatz: Ausstanzungen im Markenbild und Markenrand oder als besonderer Clou zur Verwendung als Passepartouts im Zusammenhang mit einem faltbaren Motivblock, zusätzliche Perforation im Markenbild, die Verwendung thermochromer Farbe, die z.B. bei Fingerberührung aufhellt (Abb. 2), mit Seide bezogenes Papier, Beimengungen von Steinmehl aus Sotschi (Russland) oder gemahlener Rheinkiesel, UV-Lackierung und Übergrösse im Format 180 x 382 mm bei einem Motivblock. Rubbelfelder dienten für die Emission «100 Jahre PEN International» als Zensurbalken, die Zitate sinnentstellen (Abb. 3).
Technik verändert die Briefmarkenwelt
Mit der Ausgabe «150 Jahre Liechtensteinische Landesbank» wurde 2011 auch für die Briefmarken des Fürstentums ein neues Zeitalter eingeläutet (Abb. 4). Sie trägt einen QR-Code, der nach dem Einlesen auf einem Smartphone dem Anwender die Jubiläumsinternetseite der Bank offenbart. Die virtuelle Welt wird seitdem immer wieder zugänglich gemacht. Weitere Beispiele sind die Gedenkmarke zum 175. Geburtstag des Komponisten Josef Gabriel Rheinberger von 2014 mit einem Reality QR-Code (Abb. 5) und die «Briefmarke 4.0 Blockchain Technologie» aus dem Jahr 2021 (Abb. 6), auf die später noch näher eingegangen wird. Jenseits dieser beeindruckenden Gestaltungsvielfalt soll nicht unerwähnt bleiben, dass die Freimarken «Schmetterlinge» aus dem Jahr 2009 nach Angabe des PostMuseums die ersten vollständig in Liechtenstein hergestellten Briefmarken darstellen (Abb. 7).
Abb. 4
Abb. 5
Abb. 6
Abb. 7
Rückt Kommerz in den Vordergrund?
Postwertzeichen haben gewöhnlich den Sinn und Zweck, das Entrichten des Portos zu dokumentieren. Unter den liechtensteinischen Briefmarken befinden sich mehrere Ausgaben, die dieser originären Zielsetzung sicherlich nicht zugeordnet werden können, z.B. ein Exemplar zum 300-Jahr-Jubiläum des Fürstentums im Jahr 2019 mit Silhouettenstickerei in Einzelanfertigungen, 24-Karat-Echtgoldfaden und Swarowski-Kristallen. Diese Edition war nicht frei erhältlich, sondern wurde unter den Bestellern verlost. Warum beschreitet die Post diesen Weg? Nach Angaben der «Philatelie Liechtenstein» ziehe sie ins Kalkül, dass Sammler neben den auflagenstarken Emissionen, die selbstverständlich keine hohen Wertsteigerungen erzielen könnten, gerne auch limitierte Ausgaben nachfragten. Kennzeichnend für sie sei vor allem die Qualität und die Besonderheit bzw. die Rarität. Die angesprochene Marke hat eine Nominale von 630 Rp., der Postpreis betrug CHF 300. Abzüglich der Herstellungskosten wurde vermutlich eine wesentlich höhere Einnahme erzielt, als mit dem Gegenwert der Nominale, und das ohne postalische Gegenleistung, denn es dürfte vermutlich niemanden geben, der eine so teuer erstandene Briefmarke mit Swarowski-Kristallen verklebt und auf die Reise schickt. Auf die Nachfrage, wozu die unterstellte Mehreinnahme verwendet wurde, hat sich die «Philatelie Liechtenstein» dankenswerterweise ausführlich geäussert. Bei der Berechnung müsse berücksichtigt werden, dass bei Ausgaben der angesprochenen Art «die Produktion und das Marketing viel aufwendiger als bei den klassischen Briefmarken» seien. Mehreinnahmen könnten «in neue Technologien und Produkte» investiert werden, «damit unsere Produktpalette und auch unser Service für die Kunden weiterhin attraktiv bleiben bzw. sich verbessern. Zudem unterstützen wir auch regelmässig Jugend-|Sammler- sowie
karitative Projekte».
Ausgabe-jahre | Michel- Nummern | Anzahl | Nominalen in CHF gerundet1 | ||
Postwert- zeichen | Blocks | Kleinbögen o|Folienblätter | |||
2010 | 1543-1579 2 | 39 | 2 | 3 | 61 |
2011 | 1580-1617 3 | 39 | 1 | 7 | 66 |
2012 | 1618-1660 4 | 47 | 3 | 10 | 74 |
2013 | 1661-1700 | 40 | 1 | 7 | 69 |
2014 | 1701-1741 5 | 40 | 2 | 7 | 69 |
2015 | 1742-1789 | 48 | 1 | 7 | 72 |
2016 | 1790-1838 | 49 | 1 | 8 | 68 |
2017 | 1839-1885 6 | 47 | 2 | 9 | 67 |
2018 | 1886-1931 7 | 46 | 1 | 10 | 66 |
2019 | 1932-1968 8 | 37 | 3 | 9 | 67 |
2020 | 1969-1999 9 | 31 | 4 | 6 | 67 |
2021 | 2000-2034 10 | 35 | 4 | 4 | 68 |
2022 | 2035-2072 11 | 39 | 6 | 8 | 72 |
Summen | 537 | 31 | 95 | 885 |

1 Zur Summe der Nominalen (berücksichtigt werden nur die singulären Postwertzeichen, nicht Kleinbögen o. Ä. mit mehreren Marken derselben Mi.-Nr.) kommen in einem Abonnement in der Regel die Preisaufschläge und|oder die Versandkosten eines Lieferdienstes hinzu, um die tatsächlichen Beschaffungskosten insgesamt ermitteln zu können.
2 Die Mi.-Nrn. 1553A bis 1554A und 1553B bis 1554B wurden als vier Postwertzeichen gewertet.
3 Block 20 wurde neben den Mi.-Nrn. 1594 bis 1597 als eine zusätzliche Einheit gezählt.
4 Die Mi.-Nrn. 1618A bis 1621A und 1618B bis 1621B wurden als vier Postwertzeichen gewertet.
5 Mi.-Nr. 1701 entfällt.
6 Block 29 B mit dem Postpreis von CHF 250.
7 Block 31 B mit dem Postpreis von CHF 50.
8 Mi.-Nr. 1932 B mit dem Postpreis von CHF 300.
9 Block 35 B mit dem Postpreis von CHF 75.
10 Block 42 II mit dem Postpreis von CHF 60 wurde hier nicht erfasst.
11 Block 48 wurde als Einheit mit dem Postpreis von CHF 4.65 einbezogen. Block 44B mit dem Postpreis von CHF 80 wurde nicht erfasst, ebenso wenig Block 46 II (Postpreis CHF 75).
Quellen Statistik
Datenbasis der Auswertungen: Michel Redaktion (Hrsg.): Michel Europa 2023, Bd. 1: Alpenländer (E1), 108. Auflage, München, 2023, Schwaneberger Verlag; eigene Synopse|Grafik des Autors Im «Geschäftsbericht 2019» der Liechtensteinischen Post AG wird das zurückliegende Rekordergebnis analysiert: «Das Berichtsjahr war geprägt durch einen einmaligen Umsatzeffekt von CHF 2,62 Mio., der durch die erfolgreiche Vermarktung der Sonderbriefmarken und Münzen zum Jubiläum ‹300 Jahre Fürstentum Liechtenstein› erreicht wurde.» Solchen ertragreichen Schöpfungen werden hohe Zukunftspotenziale zugesprochen: «Diese einzigartigen Nischenprodukte zeigen die Innovationskraft, Stärken und Möglichkeiten der Philatelie, sich in einem sonst stark rückläufigen Sammlermarkt erfolgreich zu positionieren.»3 Die in Fussnote 5 erwähnten Produkte lassen die Vermutung aufkommen, dass der merkantile Erfolg von 2019 in den folgenden Jahren verstetigt werden sollte. Das gelang allerdings nicht, denn die Voraussetzungen dazu fehlten. «Abgesehen vom Einmaleffekt der Jubiläumsmünzen (…) sank der Umsatz zusätzlich durch den kontinuierlichen Sammlerrückgang und die drastisch tieferen Besuchszahlen ausländischer Gäste [Anmerkung des Autors: infolge der COVID-19-Pandemie], welche Briefmarken gerne als Souvenir kaufen.» Und weiter heisst es: «Eine Stabilisierung des Umsatzes ist dringend notwendig, weshalb im abgelaufenen Jahr verschiedene Projekte gestartet wurden, um dem Umsatzrückgang entgegenzuwirken.»4 Seit 2017 häufen sich Sondereditionen5. Es möge die Frage erlaubt sein, ob mit solchen Ausgaben eine für Philatelisten erträgliche Grenze überschritten wurde. Es existieren schon sehr lange weltweit Marketingstrategien und Ausgabepraktiken, die die ursprüngliche Eigenschaft von Postwertzeichen negieren. Verlosungen unter den Bestellern trennt «glückliche» Erwerber von denen, die leer ausgehen. Das Briefmarkensammeln ist ein Hobby, eine Freizeitbeschäftigung, die Spass und Freude vermitteln sollte, nicht aber Verdruss und Enttäuschung. Die euphorische Begeisterung um derartige Produkte und der erfolgreiche Absatz scheinen allerdings die Vorgehensweise zu rechtfertigen, zumindest aus ökonomischer Sicht der Postverantwortlichen.
Und ausserdem
3 Seger, R.; Strunk, W. (Redaktion), Liechtensteinische Post AG (Hrsg.): Geschäftsbericht 2019, Schaan, 2020, Seiten 2 und 28, https://post.li/wp-content/uploads/2022/06/LIPO_GB2019_web.pdf, abgerufen am 1.12.2023; MCHF steht für Millionen Schweizer Franken. 4 Seger, R.; Strunk, W. (Redaktion), Liechtensteinische Post AG (Hrsg.): Geschäftsbericht 2020, Schaan, 2021, Seite 32, https://post.li/wp- content/uploads/2022/06/LIPO_GB2020_web.pdf, abgerufen am 1.12.2023 5 Block von 2017 aus Anlass der Goldenen Hochzeit von Fürst Hans-Adam II. und Fürstin Marie (Echtgoldfolie und ein aufgeklebter Rubin), Verkaufspreis CHF 250; Block von 2018 (Echtgoldfolie), VK CHF 50; die erwähnte Ausgabe von 2019 (Swarovski-Kristalle u. a.), VK CHF 300; Block von 2020 (Seide), VK CHF 75; Block von 2021 (Kryptobriefmarke mit Hologrammfolie und Blockchain-Technologie), VK CHF 60; zwei Blocks von 2022 (Kryptobriefmarken), VK CHF 75 bzw. CHF 80. Die Summe aller Erlöse der genannten Emissionen bei vollständigem Absatz würden MCHF 2,26 betragen; hiervon müssen selbstverständlich die Herstellungs- und Vertriebskosten subtrahiert werden.
Abb. 8
Abb. 9
Abb. 10
Kryptobriefmarken und Sondereditionen
2021 erschien mit der Blockausgabe «Briefmarke 4.0 Blockchain-Technologie – Weitblick» die erste Kryptobriefmarke des Landes (Abb. 6). Mit ihr begann ein neues Kapitel in der Vermarktungsstrategie, denn sie existiert in vier Häufigkeiten und 3D-Erlebnissen, die mithilfe des AR-QR-
Codes generierbar sind: Schloss (23’600 Kryptobriefmarken), Ritter (14’000), Prinzessin (4’300) und Fürst (100). Daneben wurde eine Sonderedition des Blocks mit Hologrammfolie für CHF 60 (Nennwert ebenfalls 520 Rp.) angeboten, wieder mit unterschiedlichen Häufigkeiten: Schloss (1’400 Exemplare), Ritter (1’000), Prinzessin (700) und Fürst (100). Selbstverständlich bedingen die Auflagenhöhen unterschiedliche Preisentwicklungen. Für die seltenste Sonderedition mit dem Motiv «Fürst» müssen heutzutage bis zu € 400 hingeblättert werden. Dem Zeitgeist entsprechend errang die «Briefmarke 4.0» den «Runner-Up-Preis» des Innovation Award 2021 von PostEurop. Rasch folgten weitere Ausgaben: Erster Todestag von Fürstin Marie (Abb. 8), Briefmarke 4.1 Blockchain Technologie «Gleichheit» (Abb. 9) und Briefmarke 4.2 Blockchain Technologie «Einigkeit» (Abb. 10). Die Produkte, die in einer Verpackung veräussert wurden, ohne die beinhaltete Variante zu verraten, waren nach offiziellen Mitteilungen innerhalb weniger Minuten oder Stunden ausverkauft. Interessant wäre es zu eruieren, ob in erster Linie Briefmarkensammlerinnen und -sammler oder Personen mit anderen Intentionen dem Hype folgten, denn wer die auflagenniedrigste Variante «erwischte», konnte auf eine Multiplizierung seines finanziellen Einsatzes beim Wiederverkauf spekulieren, sofern sich der in die Höhe geschossene Buchwert in Cash realisieren lässt. Das Glücksspiel beim Briefmarkenerwerb - Spannung! Freude! Enttäuschung? Alles ist denkbar.
Objekte der Zukunft
Optimisten sehen in Kryptobriefmarken und Produkten der NFT-Technologie (Non Fungible Token) mit ihren virtuellen Features die Chance, der stark abnehmenden Anzahl von Briefmarkensammlern Kontrapunkte entgegensetzen zu können und Menschen, die es lieben, auf Displays zu schauen, Geräuschen zu lauschen, Animationen zu folgen, sich virtuell in Wettkämpfen zu m-Score-Listen einzutragen, sowie andere technische Gimmicks und Gadgets zu nutzen, für das Sammeln zu interessieren.
Kontaktadressen, Datenquellen und Bildquellennachweis
siehe Teil I bzw. die digitale Ausgabe SBZ 12|2024
Ergänzender Bildquellennachweis
©Hampel Fine Art Auctions, München, Deutschland (Teil 2, Abb. 5), www.hampel-auctions.com; Pilatusmail AG, Alexander Odermatt, Horw, Schweiz (Teil 2, Abb. 3), www.pilatusmail.ch/de; PostBeeld.com Briefmarken Online-Shop Haarlem, Niederlande (Teil 2, Abb. 4), www.postbeeld.de; Briefmarkenversand Andreas Tschürtz, Worms, Deutschland (Teil 3, Abb. 1), www.briefmarkenshop-tschuertz.de